Donnerstag, 15. November 2012

Liebe auf Distanz

Er steht hinter der verspiegelten Scheibe. Er kann sie nicht genau sehen. Sie wirft ihren Mantel auf den Sitz neben sich und drängt wieder zur Tür, dem Strom der Rollkoffer entgegen. Die Tür schließt und der Zug fährt ab. Er steht noch immer am Bahnsteig, während sie ihm eine SMS schicken will, dass, was sie sich immer simsen: "Vermiss dich jetzt schon". Oftmals schreiben sie sich gleichzeitig,
sofort nach dem Abschied, aber dann ist es so, wie es fast immer ist: Kein Empfang.

Sie erkennen einander schon auf dem Bahnsteig, bei der Abfahrt die Küsse bis zur Trillerpfeife, bei der Ankungt die Wartenden, die auf und ab laufen, bis sich aus der Menge jener Mensche löst und man sich endlich wieder in die Arme fällt.


Tag für Tag.

Monat für Monat. 




"Die Distanz verdichtet die Liebe, 

sie konserviert das Gefühl von Verliebtheit. Sie verhindert, dass du täglich in die Kuschelfalle läufst, denn sie lässt dich immer hungrig zurück."


Lautsprecher an und dann "läuft alles parallel", telefonieren und kochen, telefonieren und Geschirr ausräumen, telefonieren und Zähne putzen, mit dem Rechner durch die Wohnung laufen und sich über der Webcam gegenseitig das Chaos zeigen, was vorherrscht: Schmutziges Geschirr, die Wäsche, mein unaufgeräumtes Zimmer, aber auch die schönen Dinge, die man leider nicht hautnah miteinander teilen kann: Die Einrichtung seiner Wohnung und die Berge, mit dem Schnee auf den Gipfeln, die man erblickt, wenn man auf dem Balkon steht.
Leise Worte geformt und ein Lächeln auf seinem Gesicht: Ich liebe dich.

11.50 Uhr. Unterricht. Das Handy zurrt. Eine SMS. Von ihm, natürlich, von wem auch sonst? Ich öffne sie: "Könnte ich mich abseilen, dann wäre ich jetzt in einer Stunde bei dir!
Ein Lächeln legt sich auf meine Lippen und die Sehnsucht auf's Herz, ihn bald wiederzusehen.

In der Fernbeziehung läuft das Leben doppelt: 
in Echtzeit und als Nacherzählung.

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